Industriegeschichte an authentischem Ort
Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte (Saarland) – weltweit das einzige Eisenwerk aus der Blütezeit der Eisen- und Stahlindustrie, das vollständig erhalten ist – verbindet Industrie und Kultur auf einer Gesamtfläche von über 600.000 Quadratmetern
An diesem historischen Ort können sich die Besucher auf eine Reise ins Zeitalter der Industrialisierung begeben. Hier geht es nicht nur tief hinein in die dunklen Gänge der Möllerhalle, sondern auch hoch hinauf auf die Aussichtsplattform am Hochofen in luftiger Höhe. Bei diesem geschichtsträchtigen Gelände handelt es sich um die gigantische Hüttenanlage Völklinger Hütte, welche sich in unmittelbarer Nähe der Innenstadt von Völklingen befindet. Die Stadt Völklingen liegt nahe bei Saarbrücken, direkt an der Saar, in einem der waldreichsten Gebiete des Saarlandes. Ihre Bedeutung erhielt die Stadt vor allem durch die hier im 19. Jahrhundert angesiedelte Schwerindustrie. Durch diese entwickelte sich der einstige Marktflecken zu einem der wichtigsten Industriezentren Deutschlands. Seit der Stilllegung der Hochöfen 1986 sind die Völklinger bemüht, die Industrieanlagen als Kulturgut zu bewahren.
UNESCO Weltkulturerbe
Im Jahre 1994 wurde dieser historische Industriestandort von der UNESCO in den Rang des Weltkulturerbes erhoben – als erstes Denkmal aus der Blütezeit der Eisen- und Stahlindustrie und als Zeugnis der Industriekultur und der Technikgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Heute ist das Weltkulturerbe Völklinger Hütte nicht nur das weltweit einzige vollständig erhaltene Eisenwerk dieser Epoche, sondern zugleich ein besonderer Schauplatz internationaler Ausstellungen, Festivals und Konzerte. Neben Industriegeschichte und Kultur spielt hier auch die Natur eine Rolle. Das „Paradies“, hervorgegangen aus der einstigen „Hölle“ der Kokerei, zeigt die Rückeroberung von Teilen der Industrieanlage durch vielfältige Flora und Fauna.
Historie
Gegründet wurde die Hüttenanlage einst im Jahre 1873 von dem Ingenieur Julius Buch. Aber erst mit dem Kauf, der wegen mangelnder Rentabilität bereits wieder geschlossenen Hütte, durch die Industriellenfamilie Röchling im Jahre 1881, begann der unaufhaltsame Aufstieg des Unternehmens. Über 17.000 Arbeiter verdienten hier zu Hochzeiten ihr Geld. Unter Leitung der Brüder Röchling entwickelte sich die Hütte zu einem der bedeutendsten Eisen- und Stahlwerke Europas. Die technischen Pionierleistungen, die man an diesem Ort in die Tat umsetzte, beeinflussten die Stahl- und Eisenproduktion weltweit. In den 1920er Jahren zählte das Werk zu den modernsten Hüttenwerken der Welt.
Industriekultur
Heute ist das Gelände des Eisenwerkes ein Kulturort mit riesigen Bauwerken. Über gut beschilderte Besucherwege von insgesamt 7.000 Meter Länge, die zu Meilensteinen der Technikgeschichte führen, erschließt sich die früher „verbotene Stadt“ den Gästen. Der Rundgang ist aufgrund von Rampen und Aufzügen in weiten Teilen barrierefrei. Die Besucher begeben sich hier auf eine Zeitreise von den Anfängen der Völklinger Hütte bis in die Gegenwart im 21. Jahrhundert. Auf der Besichtigungstour sind unter anderem die Sinteranlage, die Kokerei, die Gichtbühne sowie der Hochofenabstich zu sehen. Und den Höhepunkt einer jeden Besichtigung bildet die monumentale Gebläsehalle mit ihren gigantischen Schwungrädern.
von Halle zu Halle
Ein Besuch der Hüttenanlage beginnt im Besucherzentrum – der Eingangshalle, welche sich in der ehemaligen Sinteranlage befindet. Hier erhalten Besucher Informationen zum UNESCO Welterbe, zur Geschichte des Völklinger Eisenwerkes und zur Geschichte der Sinteranlage. Mit der Einführung der Sintertechnik gelang es, Feinerze und Gichtstaub – Reststoffe des Hochofenprozesses – zu recyceln und für den Einsatz im Hochofen verwertbar zu machen. Die Völklinger Sinteranlage, 1928 erbaut, war die erste Großsinteranlage Deutschlands und mit einer Leistung von monatlich 55.000 Tonnen Sinter damals auch eine der leistungsfähigsten weltweit. Anschließend geht der Weg durch die Sinterhalle zur Erzhalle, wo einst riesige Mengen von Erz lagerten. Heute wird sie für Ausstellungen genutzt. Außerdem gibt es hier ein Zukunftslabor, welches sich künstlerisch-experimentell zentralen Themen der Gegenwart und Zukunft widmet.
Weiter führt der Weg durch die Möllerhalle mit ihren rostbraunen Staubwänden und begehbaren Silotaschen. Der raue Charme dieser Halle macht sie zu einem Ort für ungewöhnliche Kunstausstellungen. Das ScienceCenter – eine Erlebniswelt zum Thema Eisen und Stahl – befindet sich ebenfalls in der 10.000 Quadratmeter großen Möllerhalle. Seit 2004 können die Besucher an rund 100 Experimentier- und Mitmachstationen den Prozess der Eisengewinnung spielerisch nachvollziehen. Im Zentrum steht dabei das eigene Experimentieren.
Nach der Möllerhalle geht es vorbei an den Winderhitzern, über die Treppe zum Maschinenhaus des weltweit einzigartigen Erzschrägaufzugs, zur Gichtbühne. Die Gichtbühne in knapp 30 Meter Höhe, wo Koks und Erze in die Hochöfen gefüllt wurden, ist heute in ihrer gesamten Länge von 240 Metern begehbar. Von hier aus kann man noch 15 Meter höher auf die Aussichtsplattform über den Hochöfen steigen, um die gesamte Industrielandschaft zu überblicken.
Hochöfen
Das Zentrum der Anlage bildet die 250 Meter lange Reihe der insgesamt sechs gewaltigen Hochöfen. Etwa 1.100 Tonnen Roheisen produzierte ein einziger Hochofen in 24 Stunden. Am Hochofen 6 führen die Treppen hinab zur Abstichebene, wo das flüssige Roheisen abgeflossen ist. Durch die Kokerei, in welcher aus der Steinkohle der Koks für die Hochöfen erzeugt wurde, führt der Weg zurück zur Möllerhalle. Auf dem Rückweg bietet sich vom Kohlegleis aus ein imposanter Blick auf die Möllerhalle und die Hochofengruppe mit den Winderhitzern, und weiter geht es zu den Rohstoffsilos. Eine riesige Blechwand wehrte den Staub ab, der beim Abkippen des Erzes entstand.
Zum Abschluss führt der Weg über den Gebläsesteg in die über 6.000 Quadratmeter große Gebläsehalle mit ihren dinosaurierhaften Maschinen. Die sechs Gebläsemaschinen, Kolosse aus Eisen und Stahl, haben den Wind erzeugt, der aufgeheizt in die Hochöfen eingeblasen wurde. Man kann sich vorstellen, wie es sich angefühlt haben muss, im ohrenbetäubenden Maschinenlärm der Gebläsehalle zu arbeiten oder am Abstich zu stehen, wenn mehr als 1.000 Grad heißes Roheisen aus den sechs Hochöfen geflossen ist.
Führungen
Jährlich besuchen rund 200.000 Menschen die Hütte. Besucherbegleiter sind unter anderem ehemalige Hüttenarbeiter, die ein lebendiges Bild des harten Arbeitsalltags mit allen Extremsituationen vermitteln. Denn neben der technischen Seite der Roheisenproduktion wird bei den Führungen auch der „Mikrokosmos“ von Tausenden von Hüttenarbeitern angesprochen. Dabei berichten die Besucherführer von den Mühen der Arbeit in der Gluthitze am Abstich oder den Gefahren, denen die Arbeiter auf der Gichtbühne neben Wind und Wetter ausgesetzt waren.
Führungen werden in verschiedenen Sprachen angeboten: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Griechisch, Russisch, Türkisch, Arabisch sowie in Gebärdensprache.
Projekttag
Was den Besuch von Schulklassen betrifft, so wird diesen eine vorherige Anmeldung empfohlen, soweit sie eine Führung buchen möchten. Die zu verschiedenen Themen angebotenen und ca. eineinhalb bis zwei Stunden dauernden Führungen werden jeweils den Altersklassen – vom Vorschulalter bis zum Abiturjahrgang – inhaltlich angepasst. An einer Führung können bis zu 30 Personen teilnehmen. Zur Vor- und Nachbereitung des Besuches der aktuellen Ausstellung „The World of Music Video“, welche noch bis 16. Oktober 2022 gezeigt wird, stehen für Schulklassen auf der Internetseite der Völklinger Hütte Arbeitsmaterialien zum Herunterladen bereit. Schulklassen, die das Weltkulturerbe in Völklingen besuchen, kommen vorrangig aus Deutschland, Frankreich und Luxemburg.
Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Rathausstraße 75 – 79
66333 Völklingen
Telefon Besucherservice
06898 – 9 100 100
visit@voelklinger-huette.org
www.voelklinger-huette.org
Autorin: © Katrin Mickel | Freie Texterin | www.katrin-mickel.de