Vergessene Bunker, geheime Tunnel …
Berlins unterirdische Geschichte können Schulklassen im Rahmen von Führungen des Vereins Berliner Unterwelten aus einer ungewöhnlichen Perspektive erleben
Seit 2001 bietet der Verein Berliner Unterwelten Touren an, die durch geheimnisumwitterte und lange Zeit in Vergessenheit geratene Bunker- und Verkehrsanlagen des Berliner Untergrundes führen. Gegründet wurde der Verein 1997, als ein Zusammenschluss von Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, die gemeinsam die geschichtlichen Zusammenhänge des Berliner Untergrundes erforschen und dokumentieren und es sich zur Aufgabe gemacht haben, geschichtsträchtige und bislang verborgene Bauwerke zu erhalten und, soweit möglich, einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Verborgene Eingänge zu historischen Abgründen, fast unsichtbare Türen in U-Bahnhöfen, getarnte Abstiege unter harmlosen Gullydeckeln, lange Treppen hinab ins Dunkel, geheime Tunnel – acht Meter unter der Straße – das und Vieles mehr können geschichtsinteressierte Besucher entdecken, wenn sie an Führungen des Vereins teilnehmen.
Hauptsächlich rund um den Regional- und Fernbahnhof Gesundbrunnen wurden mehrere Touren für Besucher konzipiert. „Unsere Führungen richten sich eher an ein erwachsenes Publikum, jedoch auch an Schulklassen der Jahrgangsstufe 8 und aufwärts, da wir geschichtliches Hintergrundwissen voraussetzen müssen, welches in jüngeren Altersgruppen in der Regel noch nicht vorhanden ist“, erklärt Eva Westphal. Sie ist beim Verein in der Öffentlichkeitsarbeit und Führungskoordination tätig.
Eine besondere Ausrüstung macht sich nicht erforderlich, es sollte aber beachtet werden, dass die Temperatur tief unter der Erde ganzjährig nur etwa 10 Grad Celsius beträgt und es manchmal auch feucht ist. Neben warmer Kleidung empfiehlt sich daher außerdem festes, geschlossenes Schuhwerk. Barrierefrei sind die Anlagen, aus baulichen Gründen, allerdings nicht.
Die Angebote für Schülergruppen bestehen aus unterschiedlichen Touren, meistens mit einer Dauer von jeweils neunzig Minuten. Anfragen bezüglich Führungen für Schülergruppen sollten über das Kontaktformular der Internetseiten des Vereins gestellt werden. An einer Gruppentour können, im Normalfall, jeweils 25 bis 30 Personen teilnehmen.
Tour 1: Im U-Bahnhof Gesundbrunnen, Foto: Berliner Unterwelten e.V./Holger Happel
Eine der für Schulklassen geeigneten Touren ist die Tour 1, „Dunkle Welten“ – eine zeitgeschichtliche Führung an einem authentischen Ort, wobei es in die „Unterwelt“ am U-Bahnhof Gesundbrunnen geht. Hier laufen täglich Hunderte von Menschen an einer unscheinbaren grünen Tür vorbei und ahnen dabei nicht, dass sich dahinter ausgedehnte Räume einer Luftschutzanlage aus dem Zweiten Weltkrieg verbergen. Wer diese dunkle Welt betritt, spürt noch heute, wie unangenehm es damals gewesen sein muss, in den engen Räumen eingezwängt zu sein und im Hintergrund das Surren der Lüftungsanlagen und das Dröhnen der Bomber am Himmel zu hören.
Während des Zweiten Weltkrieges entstanden im U-Bahnhof Gesundbrunnen auf mehreren Etagen unterirdische Schutzräume für Reisende und Anwohner. Nach dem Krieg sollten alle militärischen Anlagen beseitigt werden. Doch diese Luftschutzanlage blieb verschont, da eine Sprengung den U-Bahntunnel gefährdet hätte. Bis 1998 fiel die Anlage in einen „Dornröschenschlaf“, aus welchem sie vom Verein Berliner Unterwelten erweckt und für Besucher zugänglich gemacht wurde.
Von 2011 bis 2014 erfolgte hier die Instandsetzung weiterer unterirdischer Räume für Ausstellungszwecke – als separater Bestandteil des Berliner Unterwelten-Museums. In der multimedialen Geschichtsausstellung „Hitlers Pläne für Berlin“ werden in sieben Themenbereichen die Architektur und der Städtebau im Berlin der NS-Zeit beleuchtet sowie die ideologischen Zielsetzungen und verbrecherischen Konsequenzen analysiert. Zudem widmet sich die Ausstellung Legenden und Klischees rund um die „Welthauptstadt Germania“.
An dem interdisziplinären Projekt haben sich über 20 Autoren beteiligt, von denen viele für Berliner Universitäten, Gedenk- und Dokumentationsorte tätig sind.
Ebenfalls für Schulklassen eignet sich die Tour 3, „Bunker, U-Bahn, Kalter Krieg“, welche den Ost-West-Konflikt im Untergrund behandelt. Sie veranschaulicht, wie man sich den Zivilschutz im „Ernstfall“ vorgestellt hatte.
Im Westteil Berlins wurden in Vorbereitung auf einen möglichen atomaren Konflikt Bunkeranlagen für den Zivilschutz reaktiviert und neue Schutzanlagen errichtet. Zum Teil als „Mehrzweckanlagen“ bezeichnet, werden diese heute als Parkgaragen, U-Bahnhöfe oder Lagerräume genutzt.
Die erste Station auf dieser Tour ist die Zivilschutzanlage Blochplatz, ein im Kalten Krieg reaktivierter Schutzbau aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Hier sollten im „Ernstfall“ 1.318 Personen für maximal 48 Stunden Schutz finden.
Der benachbarte U-Bahnhof Pankstraße, wo die Teilnehmer einen Einblick in die Funktionsweise eines „modernen Atomschutzbunkers“ erhalten, bildet die nächste Station auf dieser Tour. Im Jahr 1977 wurde diese Mehrzweckanlage errichtet und hätte 3.339 Menschen Schutz für mehrere Wochen bieten sollen. Vor allem die Schlafräume mit den eng aneinander gestellten Vierstockbetten lassen erahnen, welches Schicksal die Überlebenden eines Atomkriegs gehabt hätten. Als immer noch voll ausgestattete und funktionsfähige Zivilschutzanlage ist sie die Viertgrößte Berlins. Sie verfügt sogar über ein unterirdisches Wasserwerk, um die Trinkwasserversorgung sicherzustellen. Im Ernstfall hätten riesige Stahlbeton-Tore die Anlage hermetisch abgeriegelt und ein 465-PS-Diesel-Notstromaggregat die unabhängige Stromversorgung übernommen.
Tour M: Originalgetreuer Fluchttunnel, Foto: Berliner Unterwelten e.V./Holger Happel
Tunnelfluchten ist das Thema bei der Tour M, „Unterirdisch in die Freiheit“. Während der zweistündigen Tour erfahren die Teilnehmer mehr über die Geschichte(n) der Fluchttunnel. Aber auch Berliner Geisterbahnhöfe, die scheinbar perfekte Sicherung gegen sogenannte Grenzverletzer und das Absperren der Kanalisation gegen unterirdische Fluchtversuche gehören zu den Themen dieser Tour.
Zu Beginn der Tour erfolgt eine Einführung in die Thematik, anschließend werden zuerst oberirdisch authentische Orte von spektakulären Fluchttunnelprojekten besucht, dann geht es in den Untergrund. Seit November 2019 zählt ein originaler Fluchttunnel von 1970/71 zu den Stationen dieser Tour. Mit Hilfe eines rund 30 Meter langen Besuchertunnels wird dieser sichtbar gemacht. Der Besuchertunnel wurde in Eigenregie des Vereins in anderthalbjähriger Bauzeit erstellt.
Tour F: Geschichtsspeicher Fichtebunker, Foto: Berliner Unterwelten e.V./Holger Happel
Zum „Geschichtsspeicher Fichtebunker“ führt die Tour F. Bei dieser Tour lernen die Teilnehmer den Fichtebunker kennen, den ältesten und einzigen bis heute erhaltenen Steingasometer Berlins: ein Koloss mit einem Durchmesser von 56 Metern und einer Höhe von 21 Metern – einst 1883/84 als Gasometer zur Versorgung der städtischen Straßenbeleuchtung erbaut. Beim ersten Blick auf dieses Gebäude deutet nichts darauf hin, dass sich im Inneren dramatische Abschnitte der Berliner Geschichte abspielten.
Im Jahr 1940 erfolgte im Rahmen des sogenannten „Bunkerbauprogramm für die Reichshauptstadt“ der Einbau eines „Mutter-Kind-Bunkers“ in den alten Gasometer. Es entstand ein Komplex mit sechs Etagen, die jeweils über 120 Kammern verfügten. Verbunden waren diese Ebenen durch fünf Treppenhäuser und drei Aufzüge. Der Bunker selbst erhielt 1.80 Meter dicke Stahlbetonwände und eine Abschlussdecke von 3 Meter Stärke. In den Bombennächten fanden hier 6.500 Mütter und Kinder eine sichere Schlafstätte.
Dass der Gasometer nach dem Krieg nicht gesprengt wurde, wie die drei anderen auf dem Gelände, ist vermutlich nur seinem Innenleben aus Stahlbeton zu verdanken.
Das Innere des Bunkers wird vom Verein museal genutzt. Im Rahmen des Rundganges gibt es nicht nur Erläuterungen zu Aufbau und Technik des denkmalgeschützten Bauwerkes, sondern auch die Zeit des Bombenkrieges, die tragischen Schicksale der Kriegsflüchtlinge und Obdachlosen werden behandelt – ergänzt mit zahlreichen Ausstellungsstücken, Zeitzeugenberichten und moderner Projektionstechnik.
Der Verein konnte sich vor der Pandemie über kontinuierlich wachsendes Interesse an Führungen durch Berlins unterirdische Geschichte freuen. Waren es zu Beginn gerade mal 3.000 Interessenten jährlich, die sich Tunnel, Bunker und andere unterirdische Bauten zeigen ließen, so konnte der Verein im Jahr 2018 schon insgesamt ca. 330.000 Gäste zählen, wobei schätzungsweise ein Viertel davon Schulklassen waren. Diese kamen von überall aus Deutschland, aber auch aus dem benachbarten Ausland, vorwiegend aus den Niederlanden und Dänemark.
Aufgrund der Pandemie ist der Verein, wie so viele andere, in eine schwierige Lage geraten. „Erfreulicherweise können wir seit Mitte Juni endlich wieder Führungen vor Ort unter den geltenden Bedingungen anbieten, und bauen das Führungsprogramm momentan sukzessive weiter aus“, so Eva Westphal.
Genauere Informationen zu den einzelnen Touren sind auf den Internetseiten des Vereins zu finden.
Berliner Unterwelten e.V.
Brunnenstraße 105
13355 Berlin
Telefon 030 – 499 105 17
buero@berliner-unterwelten.de
www.berliner-unterwelten.de
Autorin: © Katrin Mickel | Freie Texterin | www.katrin-mickel.de