Berliner Unterwelten

Berlins unterirdische Geschichte

Im Rahmen der Führungen des Vereins Berliner Unterwelten können Schulklassen die
Vergangenheit Berlins aus einer ungewöhnlichen Perspektive erkunden. Unter anderem lernen die Teilnehmer den geschichtsträchtigen Fichtebunker kennen.

Seit 2001 bietet der Verein Berliner Unterwelten Touren an, die durch lange Zeit in Vergessenheit geratene Bunker- und Verkehrsanlagen des Berliner Untergrunds führen. Gegründet wurde der Verein 1997, als ein Zusammenschluss von Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, die gemeinsam die geschichtlichen Zusammenhänge des Berliner Untergrundes erforschen und dokumentieren.
Verborgene Eingänge zu historischen Abgründen, fast unsichtbare Türen in U-Bahnhöfen, getarnte Abstiege unter harmlosen Gullydeckeln, lange Treppen hinab ins Dunkel, geheime Tunnel acht Meter unter der Straße – das und vieles mehr können geschichtsinteressierte Besucher entdecken, wenn sie an Führungen des Berliner Unterwelten e.V. teilnehmen. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, geschichtsträchtige und bislang verborgene Bauwerke zu erhalten und, soweit möglich, einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Insbesondere rund um den Regional- und Fernbahnhof Gesundbrunnen wurden mehrere Touren für Besucher konzipiert. „Unsere Führungen richten sich an ein eher erwachsenes Publikum, jedoch auch an Schulklassen der Jahrgangsstufe 8 und aufwärts“, erklärt Holger Happel, seit 2003 Mitarbeiter des Vereins. „Für jüngere Schüler sind die Führungen weniger geeignet, da wir geschichtliches Hintergrundwissen voraussetzen müssen, welches in jüngeren Altersgruppen in der Regel noch nicht vorhanden ist.“
Eine besondere Ausrüstung macht sich nicht erforderlich, es sollte aber beachtet werden, dass die Temperatur tief unter der Erde ganzjährig nur etwa 10 Grad Celsius beträgt und es manchmal auch feucht ist. Neben warmer Kleidung empfiehlt sich daher außerdem festes, geschlossenes Schuhwerk. Barrierefrei sind die Anlagen, aus baulichen Gründen, allerdings nicht.

Ausstellung Mythos Germania - Vision und Verbrechen

Ausstellung »Mythos Germania – Vision und Verbrechen«: Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist ein rund 12 Meter langes Modell der geplanten »Nord-Süd-Achse«, welches schon im Film »Der Untergang« als Requisite diente.
Foto: © Berliner Unterwelten e.V. / Philipp Dase

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Die Angebote für Schülergruppen bestehen aus insgesamt neun unterschiedlichen Touren, meistens mit einer Dauer von jeweils neunzig Minuten, sowie einem einstündigen geführten Rundgang durch die Ausstellung „Mythos Germania“. Dabei handelt es sich um eine Geschichtsausstellung des Vereins, welche in sieben Themenbereichen die Architektur und den Städtebau im Berlin der NS-Zeit beleuchtet und die ideologischen Zielsetzungen und verbrecherischen Konsequenzen analysiert. Zudem werden Legenden und Klischees rund um die „Welthauptstadt Germania“ dekonstruiert. Untergebracht ist die Ausstellung in den Räumen einer Zwischenetage im U-Bahnhof Gesundbrunnen.

Anfragen bezüglich Führungen für Schülergruppen sollten über das Kontaktformular der Internetseiten des Vereins gestellt werden. An einer Gruppentour können jeweils bis 25 Personen teilnehmen.

Tour F: Gasspeicher, Bunker, Wohnheim, Obdachlosenasyl und Senatsreserve – rund 130 Jahre umfasst die facettenreiche Geschichte des Fichtebunkers (Diorama »Ruinenlandschaft in der Nachkriegszeit«)
Foto: © Berliner Unterwelten e.V. / Holger Happel

Eine der für Schulklassen geeigneten Touren, die Tour F, führt zum „Geschichtsspeicher Fichtebunker“. Bei dieser Tour lernen die Teilnehmer den Fichtebunker kennen, den ältesten und einzigen bis heute erhaltenen Steingasometer Berlins: ein Koloss mit einem Durchmesser von 56 Metern und einer Höhe von 21 Metern – einst 1883/84 als Gasometer zur Versorgung der städtischen Straßenbeleuchtung erbaut. Beim ersten Blick auf dieses Gebäude deutet nichts darauf hin, dass sich im Inneren dramatische Abschnitte der Berliner Geschichte abspielten.
Im Jahr 1940 erfolgte im Rahmen des sogenannten „Bunkerbauprogramm für die Reichshauptstadt“ der Einbau eines „Mutter-Kind-Bunker“ in den alten Gasometer. Es entstand ein Komplex mit sechs Etagen, die jeweils über 120 Kammern verfügten. Verbunden waren diese Ebenen durch fünf Treppenhäuser und drei Aufzüge. Der Bunker selbst erhielt 1.80 Meter dicke Stahlbetonwände und eine Abschlussdecke von 3 Meter Stärke.
In den Bombennächten fanden hier 6.500 Mütter und Kinder eine sichere Schlafstätte. „Bei dem Luftangriff in der Nacht vom 2. zum 3. Februar 1945 drängten sich in seinem Inneren bis zu 30.000 Menschen“, gibt Holger Happel Auskunft. „Sogar die umliegenden Polizeireviere brachten die ihnen anvertrauten Häftlinge während der Luftangriffe hier unter, damit sie während der chaotischen Zustände nicht entfliehen konnten. Zu diesem Zweck wurde im Untergeschoss ein Zellentrakt eingebaut.“
Im April 1945 wurde der Bunker von der Roten Armee besetzt, wobei es zu heftigen Übergriffen gegen die Schutzsuchenden kam. Nach dem Krieg diente er als Auffanglager für Flüchtlinge und Ausgebombte, später als Altenheim und Ob-dachlosenasyl, und erst 1963, nach einem Mord, erfolgte die Räumung des Bunkers. Anschließend befand sich hier ein Lager von Lebensmittelreserven für die Westberliner. Dieses Lager, vom Senat für Notfälle und für den Fall einer weiteren Berlin-Blockade durch die Truppen des Warschauer Pakts eingerichtet, existierte im Fichtebunker bis 1988.
„Vermutlich ist es nur seinem Innenleben aus Stahlbeton zu verdanken, dass der Gasometer noch vorhanden ist“, sagt Holger Happel, „sonst wäre er wohl, wie auch die anderen drei Gasometer auf dem Gelände, bereits im Oktober 1951 gesprengt worden. Und gerade dieser Bunker, dessen Wände den ersten Schrei neugeborener Kinder und den letzten Lebenshauch sterbender Menschen kennen, darf nicht vergessen oder gar beseitigt werden.“
Das Innere des Bunkers wird vom Berliner Unterwelten e.V. museal genutzt. Im Rahmen des Rundganges gibt es nicht nur Erläuterungen zu Aufbau und Technik des denkmalgeschützten Bauwerkes, sondern auch die Zeit des Bombenkrieges, die tragischen Schicksale der Kriegsflüchtlinge und Obdachlosen werden behandelt – ergänzt mit zahlreichen Ausstellungsstücken, Zeitzeugenberichten und moderner Projektionstechnik. Holger Happel: „Für unsere Gäste wollen wir die dunkle Vergangenheit des Gebäudes, das für 130 Jahre Berliner Stadtgeschichte steht, auf einer spannenden Zeitreise wieder lebendig werden lassen.“

Tour M: Originalgetreuer Nachbau des Einstiegs in einen der berühmtesten Fluchttunnel, den »Tunnel 29«
Foto: © Berliner Unterwelten e.V. / Holger Happel

Eine weitere Tour, die Tour 3, nennt sich „Atombunker im Kalten Krieg“. Sie veranschaulicht, wie man sich den Zivilschutz im „Ernstfall“ vorgestellt hätte. Im Westteil Berlins wurden in Vorbereitung auf einen möglichen atomaren Konflikt Bunkeranlagen für den Zivilschutz reaktiviert und neue Schutzanlagen errichtet. Zum Teil als „Mehrzweckanlagen“ bezeichnet, werden diese heute als Parkgaragen, U-Bahnhöfe oder Lagerräume genutzt. „Zuerst zeigen wir unseren Besuchern die Zivilschutzanlage Blochplatz, einen im Kalten Krieg reaktivierten Schutzbau aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges“, informiert Holger Happel. „Nach einem U-Bahn-Transfer zum benachbarten U-Bahnhof Pankstraße bieten wir einen Einblick in die Funktionsweise eines modernen Atomschutzbunkers. Diese 1977 errichtete Mehrzweckanlage hätte 3.339 Menschen Schutz für mehrere Wochen bieten sollen. Sie ist die viertgrößte Zivilschutzanlage Berlins, immer noch voll ausgestattet und funktionsfähig. Vor allem die Schlafräume mit den eng aneinander gestellten Vierstockbetten lassen erahnen, welches Schicksal die Überlebenden eines Atomkriegs gehabt hätten.“

Und um Tunnelfluchten unter der Berliner Mauer geht es bei der Tour M „Unterirdisch in die Freiheit“. Während der zweistündigen Tour erfahren die Teilnehmer mehr über die Geschichte(n) der Fluchttunnel. Aber auch Berliner Geisterbahnhöfe, die scheinbar perfekte Sicherung gegen sogenannte Grenzverletzer und das Absperren der Kanalisation gegen unterirdische Fluchtversuche gehören zu den Themen dieser Tour.

„Das Interesse an Führungen durch Berlins unterirdische Geschichte ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen“, freut sich Holger Happel. „Zu Beginn waren es gerade mal 3.000 Interessenten jährlich, die sich Tunnel, Bunker und andere unterirdische Bauten zeigen ließen. Und im Jahr 2018 besuchten uns insgesamt ca. 330.000 Gäste, wobei schätzungsweise ein Viertel davon Schulklassen waren. Diese kommen von überall aus Deutschland, aber auch aus dem benachbarten Ausland, vorwiegend aus den Niederlanden und Dänemark.“

Genauere Informationen zu den einzelnen Touren sind auf den Internetseiten des Vereins zu finden.

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Kontakt
Berliner Unterwelten e.V.

Brunnenstraße 105
13355 Berlin
Telefon 030 – 499 105 17
buero@berliner-unterwelten.de
www.berliner-unterwelten.de

Autorin: © Katrin Mickel | Freie Texterin | www.katrin-mickel.de

 

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