Lernorte der Industriegeschichte

Lernorte der Industriegeschichte

An vielen Orten in Deutschland wird gezeigt, wie die industrielle Entwicklung das Leben damals und heute prägt. Häufig gibt es speziell für Schulklassen erstellte Programme.

England gilt als Mutterland der Industrialisierung, die hier während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann. Meilensteine waren dabei die Erfindung der Dampfmaschine, der Spinnmaschine, des mechanischen Webstuhls, der Werkzeugmaschine sowie des Puddelverfahrens bei der Eisengewinnung. Das Ende der ersten industriellen Revolution in England bildeten die Erfindung der Dampflokomotive und die ersten öffentlichen Eisenbahnen.
In Deutschland unterschied sich die industrielle Revolution von der des Pionierlandes Großbritannien dadurch, dass nicht die Textilindustrie, sondern die Montanindustrie und der Eisenbahnbau die Schlüsselindustrien wurden. Ein weiteres Kennzeichen bestand in der ungleichen regionalen Verteilung der industriellen Entwicklung. Die industrielle Revolution konzentrierte sich, teilweise vor dem Hintergrund älterer Traditionen, teilweise auf Basis von Rohstoffvorkommen, günstigen Verkehrsbedingungen oder anderen Gründen, auf einige regionale Verdichtungszonen. Zu den deutlich industrialisierten Gebieten zählten das Königreich Sachsen – hier vornehmlich die Region um Chemnitz, das Rheinland, Elsass-Lothringen, die Rheinpfalz und auch das Großherzogtum Hessen.

Deutschland verfügt über ein reiches Erbe an Industriekultur. Viele ehemalige Industriebauten sind heute Lernorte der Industriekultur und bieten ein vielseitiges Programm zur Industriegeschichte. Dieses reicht von Führungen über Workshops bis hin zu Projekttagen. Dabei steht der Begriff Industriekultur für die Beschäftigung mit der gesamten Kulturgeschichte des industriellen Zeitalters. Dazu gehören die Geschichte der Technik, die Geschichte der industriellen Artefakte und deren Gestaltung, die Sozialgeschichte der Arbeit, die Architekturgeschichte der Produktionsstätten sowie der Unternehmer- und Arbeiterwohnungen und die Entwicklung des geografischen Raumes.

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In Deutschland gibt es in einigen Bundesländern nicht nur einzelne Lernorte, sondern „Routen der Industriekultur“, die aus verschiedenen sogenannten „Ankerpunkten“ bestehen. So bilden beispielsweise in Nordrhein-Westfalen fünfundzwanzig Ankerpunkte in der Metropole Ruhr das Kernnetz der Route der Industriekultur. Zur Route der Industriekultur Berlin zählen fünfzehn Standorte. Im Freistaat Sachsen sind an mehr als 50 Gemäuern Schilder mit der Aufschrift Route der Industriekultur in Sachsen zu finden. Und rund 1.000 Orte von lokaler und überregionaler Bedeutung bilden die Route der Industriekultur Frankfurt Rhein-Main. Auch in weiteren Bundesländern bieten solche Routen der Industriekultur Gelegenheit, sich an verschiedensten Standorten mit diesem Thema zu beschäftigen.

Darüber hinaus wurde in den Jahren 2003 bis 2008 die Europäische Route der Industriekultur, kurz ERIH, aufgebaut. Sie ist ein Netzwerk der wichtigsten Standorte des industriellen Erbes Europas. Einige der Ankerpunkte in Deutschland werden beispielhaft für die anderen deutschen Standorte nachfolgend kurz vorgestellt:

In Baden-Württemberg, im Zentrum der Stadt Furtwangen, befindet sich das Deutsche Uhrenmuseum, welches sich der Geschichte der Zeitmessgeräte widmet. Die Sammlung umfasst 8.000 Objekte. Etwa 1.300 Uhren sind dauerhaft ausgestellt. Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der handwerklichen und industriellen Uhrenproduktion im Schwarzwald. Zur Sammlung gehören unter anderem frühe Kuckucksuhren aus dem 18. Jahrhundert sowie der Prototyp des heutigen Schwarzwaldsouvenirs. Schulklassen können im Museum Themen-Workshops nutzen, die teilweise auf den Bildungsplan abgestimmt sind.

Das Verkehrsmuseum Nürnberg gehört zu den ältesten technikgeschichtlichen Mu-seen in Europa. Es beherbergt in seinem zentralen Gebäude das DB-Museum der Deutschen Bahn AG und das Museum für Kommunikation. Weiterhin betreibt das Museum zwei Außenstellen des DB-Museums: in Koblenz und in Halle/Saale. Für Schulklassen werden neben Führungen auch Workshops angeboten, die sich an Schüler ab der 5. Jahrgangsstufe richten.

Die Förderbrücke F60 in Lichterfeld in der Lausitz.

Foto: Förderbrücke F60 – © TMB-Fotoarchiv / Steffen Lehmann

Am Bergheider See, nahe von Lichterfeld in Südbrandenburg, steht ein Gigant der Technik: das „Besucherbergwerk Abraumförderbrücke F60“. Die hier ausgestellte, ehemalige Abraumförderbrücke F60 wurde von 1991 bis 1992 im Braunkohletagebau Klettwitz-Nord bei Klettwitz eingesetzt. Sie ist 502 Meter lang, 204 Meter breit, 80 Meter hoch und 11.000 Tonnen schwer und erzählt von Geschichte und Gegenwart des Braunkohlenbergbaus in der Lausitz. Aufgrund der Maße und der vergleichbaren Konstruktion wird die Förderbrücke auch als liegender Eiffelturm der Lausitz bezeichnet. Das Bildungsprogramm für Schulklassen informiert zu den Themen Braunkohle, Tagebau und Regionalgeschichte.

Die Wandlung des Lebens und der Arbeit in den letzten 150 Jahren hat das Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek zu seinem Hauptthema gemacht. Zu den Inhalten der Ausstellungen gehören die Auswirkungen der Industrialisierung und die dadurch ausgelösten Veränderungen in sozialen, kulturellen und ökonomischen Bereichen. Alle Angebote für Schulklassen sind auf die Hamburger Bildungsempfehlungen für Schulen abgestimmt. Im Museum werden nicht nur Geräte und Materialen zur Geschichte der Arbeit aufbewahrt, sondern zudem das Wissen, die Erfahrungen und die Fertigkeiten darum. Daher sind die historischen Maschinen in den Museumswerkstätten auch betriebsbereit, und Praxisexperten zeigen, wie sie funktionieren. Bei vielen Angeboten können die Schüler selbst Hand anlegen.

Auf der Insel Usedom, im Osten des Landes Mecklenburg-Vorpommern, befindet sich das Historisch-Technische Museum Peenemünde. Es widmet sich der Geschichte der Heeresversuchsanstalt Peenemünde und der Erprobungsstelle der Luftwaffe „Peenemünde-West“, insbesondere der dort zwischen 1936 und 1945 entwickelten Raketen und anderen Flugkörpern. Als außerschulischer Lernort bietet das Museum verschiedene Bildungsformate an, die alle Jahrgangsstufen, unterschiedliche Fächer und verschiedene Vertiefungsniveaus einschließen. Zur Einführung in das Kernthema des Museums sind Führungen und Lernangebote in Form von Workshops möglich.

Um ein deutsches Schiffbauunternehmen handelt es sich bei der Meyer Werft, die vor allem durch ihre große Werft in Papenburg im Landkreis Emsland bekannt ist. 1795 wurde die Werft als Holzschiffswerft gegründet. Das Unternehmen befindet sich in siebter Generation im Besitz der Familie Meyer. Im Besucherzentrum der Werft wird auf einer Fläche von 3.500 Quadratmetern, in insgesamt neun Ausstellungsbereichen, über den modernen Schiffbau und die Kreuzfahrt informiert. Besichtigungen, bei denen man den Werftarbeitern „über die Schulter“ schauen kann, sind für Schulklassen das ganze Jahr über möglich.

Von 1851 bis 1986 war die Zeche Zollverein ein aktives Steinkohlebergwerk in Essen. Heute ist sie ein Architektur- und Industriedenkmal und mit ihrer Gesamtfläche von 100 Hektar das flächenmäßig größte Denkmal der Stadt Essen. Gemeinsam mit der unmittelbar benachbarten Kokerei Zollverein gehören die Schachtanlagen 12 und 1/2/8 der Zeche seit 2001 zum Welterbe der UNESCO. Dem „Weg der Kohle“, in den Übertageanlagen der Zeche und den Produktionsanlagen der Kokerei, können die Besucher entlang riesiger stillstehender Maschinen folgen. Außerdem gibt eine multimediale Ausstellung Auskunft über das Leben und den Alltag im Ruhrgebiet.

Die Völklinger Hütte, ein ehemaliges Eisenwerk in der saarländischen Stadt Völklingen, wurde 1873 gegründet und 1986 stillgelegt. Sie zählt zu den ungewöhnlichsten Weltkulturerbestätten der UNESCO und ist weltweit das einzige vollständig erhaltene Eisenwerk aus der Blütezeit der Industrialisierung. Auf einem 7.000 Meter langen Rundweg, mit gut beschilderten Wegen, kann das Eisenwerk in zwei bis drei Stunden erkundet werden.

Im ehemaligen Tagebau Golpa-Nord, in Sachsen-Anhalt, können sich Besucher im Freilichtmuseum Ferropolis – der „Stadt aus Eisen“ – auf eine Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft begeben. In der 1995 gegründeten „Stadt aus Eisen“ sind fünf schwere Bagger-Giganten, jeder mit seiner eigenen Geschichte, zu besichtigen: ein Eimerkettenschwenkbagger, ein Schaufelradbagger, zwei Absetzer und ein Raupensäulenschwenkbagger. Zusätzlich werden in der ehemaligen Stromversorgungsstation unter anderem ein Teil der originalen Schaltanlage und alte Messgeräte aus dem Bergbau gezeigt sowie das Skelett eines Waldelefanten, der vor 120.000 Jahren in dieser Region lebte.

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Auch in anderen europäischen Ländern gibt es Standorte des industriellen Erbes. Auf der ERIH-Website sind über 1.000 Objekte beziehungsweise Städte oder Regionen in 43 europäischen Ländern zu finden.

Autorin: © Katrin Mickel | Freie Texterin | www.katrin-mickel.de

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